Die Krise der Demokratie in den USA

Die Politikwissenschaft beobachtet in den letzten Jahren einen Rückgang der Anzahl bestehender Demokratien und das zunehmende Erstarken autokratischer Regime auch in der westlichen Welt. 1 Spätestens seit der Erstürmung des Kapitols durch Anhänger von Donald Trump am 06.01.2021 wird auch die Stabilität der Demokratie in den USA in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. In diesem Beitrag soll dargestellt werden, inwiefern die Erosion der Unterstützung für das demokratische System in den USA als ein Nährboden für die kürzlichen Entwicklungen in den USA gesehen werden kann.

In recent years, political science has observed a decline in the number of existing democracies and the increasing strength of autocratic regimes in the Western world.2 At the latest since the storming of the Capitol by supporters of Donald Trump on 06.01.2021, the stability of democracy in the United States is also discussed in the broad public. In this paper, we will show to what extent the erosion of support for the democratic system in the U.S. can be seen as a breeding ground for the recent developments in the U.S.

DOI: 10.34879/gesisblog.2022.57


Der sechste Januar 2021 wird der politisch interessierten Öffentlichkeit noch lange im Gedächtnis bleiben. Tausende Anhänger des scheidenden Präsidenten Donald Trumps erstürmten das Kapitol, den Sitzungsort der beiden US-amerikanischen Parlamentskammern, um die offizielle Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden zu verhindern. Dieses Ereignis steht am Ende einer bedrückenden Reihe von Ereignissen, die mit dem vergifteten Wahlkampf und der anschließenden Wahl Donald Trumps im Jahr 2016 begann, mit dem Vorwurf des umfassenden Wahlbetrugs durch einen amtierenden Präsidenten im Jahr 2020 ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte und schließlich in der Stürmung des Parlaments der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 2021 gipfelte.

Diese Entwicklung in den USA fällt in eine Zeit, in der die Anzahl liberaler Demokratien zurückgeht 3. In etablierten Demokratien wie Polen und Ungarn kann der Trend festgestellt werden, dass autoritäre Populisten gewählt werden. Diese schaffen zwar nicht die Wahlen ab, schränken aber durch institutionelle Veränderungen, wie Wahlrechtsreformen, der Einschränkung der Macht von Verfassungsgerichten und Begrenzungen der Pressefreiheit die Möglichkeit der Bürger ein, selbstbestimmt und umfassend informiert ihr Wahlrecht wahrzunehmen.4

Das Ziel dieses Beitrages ist nicht, das Verhalten der zentralen Akteure wie Donald Trump oder des republikanischen Spitzenpersonals zu beleuchten, sondern ein Schlaglicht auf die gesellschaftliche Grundlage der Ereignisse zu werfen. Damit steht die Frage im Raum, auf welchem politischen und gesellschaftlichen Nährboden die aktuelle Krise der Demokratie in den USA erwachsen ist. Die Politikwissenschaftler Armin Schäfer und Michael Zürn5 bieten einen interessanten Erklärungsansatz für dieses Phänomen. Gemäß der Autoren resultiert die Schwäche westlicher Demokratien und die Stärke populistischer Akteure aus einer „demokratischen Regression“ bzw. einer „doppelten Entfremdung“:  Die erste Entfremdung besteht darin, dass sich das politische System von demokratischen Grundgedanken entfernt und nicht alle Bürger gleichermaßen vertritt: Die Interessen von ärmeren und ungebildeteren Bürger*innen sowie die Einstellungen von gesellschaftlich konservativ eingestellten Personen werden im politischen Prozess weniger vertreten als die von reicheren, gebildeteren und kosmopolitisch – also weltoffen und liberal – eingestellten Bürger*innen . Die zweite Entfremdung beschreibt die Entfremdung der Bürger*innen vom demokratischen System, weil sie es als korrumpiert oder als taub für die eigenen Anliegen wahrnehmen. Die Wahl populistischer Parteien, aber auch der Glaube an verbreiteten Wahlbetrug resultiert entsprechend dieses Ansatzes daraus, dass sich insbesondere Menschen mit geringem sozio-ökonomischem Status und konservativ eingestellte Bürger nicht vertreten fühlen und daher das politische System in seiner Gesamtheit ablehnen. Die Schwäche demokratischer Staaten liegt darin, dass das System selbst von Teilen der Bürgerschaft nicht mehr als legitim anerkannt wird.

Die Zufriedenheit mit der Demokratie in den USA über die Zeit

Dieser Ansatz der doppelten Entfremdung soll nachfolgend untersucht werden. Hierfür können die Daten der American National Election Studies6 7 genutzt werden, die nach jeder Wahl die Einstellung der US-Bürger*innen zu verschiedenen politischen und sozialen Themen abfragen. Die Teilnehmer*innen wurden gebeten, zur folgenden Fragestellung zu antworten:

„On the whole, are you very satisfied, fairly satisfied, not very satisfied, or not at all satisfied with the way democracy works in the United States?“ 8 

Hierbei zeigt sich, dass die Zufriedenheit mit dem Zustand der Demokratie in den USA in den letzten Jahren tatsächlich im Mittel zurückgegangen ist (Abbildung 1, gestrichelte Linie). Im Zeitraum von 2008 zu 2012 ist die Zufriedenheit mit der Demokratie in den USA innerhalb von nur 4 Jahren um 8 Prozentpunkte gefallen und hat im Jahr 2020 den vorläufigen Tiefststand erreicht. Vom bisherigen Höchststand im Jahr 2002 zum Jahr 2020 ist insgesamt sogar ein Abfall von 18 Prozentpunkten festzustellen.

Abbildung 1: Zufriedenheit mit der Demokratie in den USA von 1996 bis 2020

Wer ist unzufrieden mit der Demokratie?

Aufbauend auf dieser Feststellung stellt sich die Frage, welche Faktoren dazu führen, dass ein Amerikaner seiner Demokratie in besonders unzufrieden mit dem System ist. Entsprechend des Ansatzes der doppelten Entfremdung werden dabei vor allem drei Faktoren in den Blick genommen und so geprüft, ob erstens ein geringer sozio-ökonomischer Status (Armut und geringe Bildung), zweitens gesellschaftlich konservative Einstellungen (Ablehnung von Migranten, Afro-Amerikanern und Minderheitenrechten) und drittens das Gefühl, von der Politik nicht repräsentiert zu werden, die Zufriedenheit mit dem bestehenden demokratischen System verringert.

Hierbei zeigt eine Analyse der Daten, dass das Gefühl, nicht repräsentiert zu sein, die Bewertung des politischen Systems negativ beeinflusst. Ein geringerer sozio-ökonomischer Status geht ebenfalls mit einer schlechteren Beurteilung der bestehenden Demokratie einher. Konservativ eingestellte Bürger dagegen sind für sich genommen nicht überdurchschnittlich unzufrieden mit der Demokratie in ihrem Land. Der größte Einfluss – deutlich stärker als der Einfluss des sozio-ökonomischen Status – ergibt sich aber aus der Wahrnehmung, vom politischen System nicht vertreten zu werden. Dieser Befund bleibt auch bestehen, wenn Unterschiede, die sich aus unterschiedlichen Geschlechterverhältnissen, der Altersstruktur und dem Interesse an der Politik ergeben, statistisch aus dem Modell herausgerechnet werden (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Zufriedenheit mit der Demokratie in den USA in Abhängigkeit vom Bildungsgrad, der kulturellen Einstellung und der wahrgenommenen politischen Responsivität

Wer hat das Gefühl, nicht repräsentiert zu sein?

Im vorherigen Abschnitt wurden die drei Faktoren (sozio-ökonomische Status, kulturelle Einstellungen und das Gefühl mangelnder Repräsentation) jeweils für sich betrachtet. Nun stellt sich allerdings die Frage, wie diese Eigenschaften in der Gesellschaft zusammen auftreten. Der theoretische Ansatz von Schäfer und Zürn besagt, dass besonders Personen mit geringem sozio-ökonomischen Status und konservativen Gesellschaftseinstellungen nicht vertreten werden oder sich nicht durchsetzen können. Auch diese Befundlage spiegelt sich in den Daten des ANES wider. Ein niedriger sozio-ökonomischer Status und konservative Einstellungen gehen mit einem erhöhten Gefühl einher, vom politischen System nicht repräsentiert zu werden (siehe Abbildung 3). Es zeigt sich allerdings, dass der sozio-ökonomische Einfluss deutlich stärker ist als die Auswirkung konservativer Einstellungen.

Abbildung 3: Wahrnehmung der Responsivität des politischen Systems in Abhängigkeit vom Bildungsstatus und der kulturellen Einstellung

Fazit

Der Bestand etablierter, liberaler Demokratien wird zunehmend auch in Europa und Amerika gefährdet. Ein Erklärungsansatz liegt in der „demokratischen Regression“, also dem Erklärungsansatz, dass sich Menschen vom politischen System entfremden, weil sie von diesem nicht vertreten werden. Basierend auf diesem Konzept wurden Daten der ANES für die USA untersucht. Dabei zeigt sich, dass das Gefühl nicht repräsentiert zu werden, die Zufriedenheit mit der Demokratie verringert. Ebenso geht es mit einer überdurchschnittlichen Tendenz zur Wahl populistischer Parteien einher. Dieses Gefühl tritt vor allem bei Menschen mit geringem sozio-ökonomischen Status und konservativen Einstellungen auf. Gerade diese Gruppen werden auch vom bestehenden System weniger repräsentiert.

Seit 2004 nahm die Zufriedenheit mit der Demokratie über alle sozialen Gruppen hinweg im Durchschnitt um zehn Prozentpunkte ab. Es ist davon auszugehen, dass diese Entwicklung einen Nährboden für die politischen Phänomene der letzten Jahre (Trump, Vorwurf des Wahlbetrugs, Sturm auf das Kapitol) darstellt. Ein wesentlicher Faktor zur Konsolidierung der Demokratie in den USA bestünde darin, dass sich das faktische System wieder mehr am demokratischen Ideal orientiert und nicht nur einige, sondern möglichst alle Gruppen repräsentiert.

References

  1. Lührmann, Anna, Valeriya Mechkova, Sirianne Dahlum, Laura Maxwell, Moa Olin, Constanza Sanhueza Petrarca, Rachel Sigman, Matthew C. Wilson und Staffan I. Lindberg. 2018. State of the world 2017: autocratization and exclusion? Democratization 25 (8), 1321–1340.
  2. Lührmann, Anna, Valeriya Mechkova, Sirianne Dahlum, Laura Maxwell, Moa Olin, Constanza Sanhueza Petrarca, Rachel Sigman, Matthew C. Wilson und Staffan I. Lindberg. 2018. State of the world 2017: autocratization and exclusion? Democratization 25 (8), 1321–1340.
  3. Lührmann, Anna, Valeriya Mechkova, Sirianne Dahlum, Laura Maxwell, Moa Olin, Constanza Sanhueza Petrarca, Rachel Sigman, Matthew C. Wilson und Staffan I. Lindberg. 2018. State of the world 2017: autocratization and exclusion? Democratization 25 (8), 1321–1340.
  4. Pirro, Andrea L. P. und Ben Stanley. 2021. Forging, Bending, and Breaking: Enacting the “Illiberal Playbook” in Hungary and Poland. Perspectives on Politics, 1–16.
  5. Schäfer, Armin und Michael Zürn. 2021. Die demokratische Regression: Die politischen Ursachen des autoritären Populismus. Berlin: Suhrkamp.
  6. American National Election Studies (2021): ANES 2020 Time Series Study (data file and codebook).
  7. American National Election Studies. 2019. ANES 1948 – 2016 Time Series Cumulative Data File [data file and codebook).
  8. American National Election Studies (2021): ANES 2020 Time Series Study (data file and codebook), S. 523.

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