Zur Regierungsablösung nach 16 Jahren Angela Merkel: Die Meinung der deutschen Wähler:innen im Datencheck

Es waren ereignis- und krisenreiche Amtsjahre, in denen Angela Merkel von 2005 bis 2021 Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland war: die Finanz‑/Eurokrise, die „Flüchtlingskrise“, die Klimakrise und zuletzt die Corona-Pandemie. Zeiten der Krise gehen oft mit Wandel einher. Doch wie spiegelt sich dieser Wandel in den Einstellungen der deutschen Bevölkerung zu den wichtigsten gesellschaftlichen Themen wider? Wie wurden Angela Merkel und die Bundesregierung im Verlauf der Jahre wahrgenommen? Und wie hat sich der Wunsch nach einer Ampel-Koalition in den letzten 16 Jahren verändert? Antworten auf diese Fragen erlauben die Daten der German Longitudinal Election Study (GLES), das zentrale Umfrageprogramm zu den Bundestagswahlen 2009, 2013, 2017 und 2021 in Deutschland, mit Befragungen der Bevölkerung und der Kandidierenden.
These were eventful and crisis-ridden years in office during which Angela Merkel was Chancellor of the Federal Republic of Germany from 2005 to 2021: the financial/euro crisis, the “refugee crisis,” the climate crisis and, most recently, the Corona pandemic. Times of crisis are often accompanied by change. But how is this change reflected in the attitudes of the German population toward the most important social issues? How have Angela Merkel and the German government been perceived over the years? And how has the desire for a traffic light coalition changed over the past 16 years? Answers to these questions are provided by data from the German Longitudinal Election Study (GLES), the central polling program for the 2009, 2013, 2017 and 2021 federal elections in Germany, with surveys of the population and candidates.
DOI: 10.34879/gesisblog.2021.55
In Deutschland ist es nun, nach 16 Jahren Personalkonstanz an der Regierungsspitze, Zeit für einen Wechsel: Angela Merkel stand nach vier Amtszeiten nicht mehr als Kanzlerkandidatin zur Verfügung und die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und Linken mündeten erfolgreich in einem unterschriebenen Koalitionsvertrag. Mit der Wahl von Olaf Scholz zum neuen Bundeskanzler am 08.12.2021 wird eine neue Wende in der politischen Führung der Bundesrepublik eingeleitet. Dieser Blogbeitrag blickt zurück auf die ereignis- und krisenreiche Regierungszeit Angela Merkels und dokumentiert wichtige gesellschaftliche Themen und Trends, die die deutsche Wahlbevölkerung bei dieser und den vergangenen Bundestagswahlen umgetrieben hat.
Daten für die Untersuchung zentraler sozial- und politikwissenschaftlicher Forschungsfragen in Bezug auf das Wahlverhalten und politische Einstellungen bietet die German Longitudinal Election Study (GLES). Die GLES ist das größte sozialwissenschaftliche Umfrageprogram der deutschen Wahlforschung und wird seit 2009 erhoben. Es besteht aus mehreren Teilstudien, um politische Einstellungen und Verhaltensweisen der Wähler:innen zu untersuchen. Ausführliche und kontinuierliche Frageprogramme, sowie längsschnittliche Komponenten erlauben sowohl detaillierte Analysen zu den einzelnen Bundestagswahlen durchzuführen als auch längerfristige Trends feststellen zu können. Neben der Befragung der deutschen Wahlbevölkerung werden im Rahmen der GLES auch Kandidierende zu ihren Einstellungen und dem Wahlkampf zur Bundestagswahl befragt. Zur Bundestagswahl 2021 wurde im Rahmen der GLES zusätzlich der Nominierungsprozess in den Parteien erhoben und damit das Datenportfolio ergänzt. Eine genaue Beschreibung des Studiendesigns findet sich auf der Homepage der GLES. Die GLES wird von GESIS in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Wahlforschung (DGfW) durchgeführt und ist seit 2018 bei GESIS institutionalisiert.
In diesem Beitrag werden Daten des GLES Querschnitt verwendet 1 2 3. Vor und nach jeder Wahl wird eine vierstellige Anzahl von Personen zufällig über eine Stichprobe aus dem Gemeinderegister ausgewählt und kontaktiert. Auf freiwilliger Basis können die ausgewählten Personen Angaben zu ihren politischen und gesellschaftlichen Einstellungen machen. Im folgenden Beitrag wird ein Blick auf die Vorwahlbefragungen geworfen, für die seit kurzem die Datensätze zu der Bundestagswahl 2021 für die akademische Lehre und Forschung frei zugänglich ist (siehe unten). Bei den folgenden Auswertungen wurden die Design-Gewichtungen berücksichtigt, um für die überproportionalen Repräsentation befragter Personen aus Ostdeutschland zu kontrollieren.
Einstellungen zur Sozialpolitik, Migrationspolitik und zum Klimaschutz im Wandel der Zeit
Eine zentrale Frage der Wahlforschung betrifft die Veränderung von gesellschaftlichen Einstellungen zu zentralen politischen Themen und ihren Einfluss auf das Wahlverhalten. Die Einstellungen zur Sozial- und Migrationspolitik wurden im Rahmen der GLES bislang zu jeder Wahl abgefragt. In Bezug auf Einstellungen zum Klimaschutz thematisierte die GLES seit 2013 die Bekämpfung des Klimawandels. Durch die wiederholte Befragung zu diesen zentralen Themen über die verschiedenen Jahre hinweg, lassen sich längerfristige Trends in den Einstellungen der Bevölkerung abbilden.

Abbildung 1 zeigt auf einer Skala von 1 bis 11, dass sich die Bevölkerung im Durchschnitt eine eher restriktive Migrationspolitik wünscht, da sich der jährliche mittlere Skalenwert stets unterhalb der Skalenmitte (6) befindet. Allerdings ist über den gesamten Zeitraum eine zunehmende Offenheit gegenüber Migration festzustellen. Dieser Trend scheint von der Flüchtlingskrise 2016 kaum beeinflusst worden zu sein. Bezugnehmend auf die Sozial- und Steuerpolitik verorteten sich die befragten Personen über die Jahre stets knapp unterhalb der Skalenmitte. Diese Position bleibt im Zeitverlauf größtenteils stabil. Das heißt, dass die Bevölkerung keinen klar erkennbaren Wunsch nach einer Veränderung der Sozial- und Steuerpolitik äußert, sondern nur eine sehr leichte Befürwortung von niedrigeren Steuern und weniger sozialstaatlichen Leistungen. Die Daten für die Jahre 2013 bis 2021 zeigen, dass es einen steigenden Trend in der Befürwortung von Klimaschutzmaßnahmen von 2013 bis 2021 in der Bevölkerung gab. Im Verlauf der beiden letzten Legislaturperioden Merkels veränderte sich die Meinung der Bevölkerung zugunsten einer klimafreundlicheren Politik um insgesamt einen Skalenpunkt. Dies könnte damit einhergehen, dass das Thema Klimawandel durch Ereignisse wie die „Fridays for Future“- Bewegung und kürzlich die Flutkatastrophe zunehmend präsenter in der Gesellschaft wurde und ein vorherrschendes Thema auch im Wahlkampf 2021 war.
Wie beliebt war Angela Merkel als Bundeskanzlerin?
Als Kanzlerin wurde Angela Merkel medial im Lauf der Zeit sowohl mit Lob als auch mit Kritik bedacht. Die Daten der GLES ermöglichen einen Blick auf die allgemeine Beliebtheit und Zufriedenheit der Deutschen mit ihrer Kanzlerin. Abbildung 2 zeigt die Beliebtheit von Angela Merkel über die Jahre hinweg sowie die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Leistung der Bundesregierungen mit ihr als Kanzlerin auf einer Skala von -5 bis +5.

Aus Abbildung 2a geht hervor, dass die befragten Personen Angela Merkel über die Gesamtzeit hinweg durchschnittlich positiv bewerteten. Wenngleich es im Verlauf der „Flüchtlingskrise“ auch kritische Stimmen gegenüber Merkel gab, zeigt sich weiterhin ein Anstieg ihrer Zustimmungsraten von 2013 zu 2021. Von 2009 bis 2017 stieg Merkels Zustimmung um mehr als einen halben Skalenpunkt pro Legislaturperiode. Ab 2017 bis 2021 stieg die Zustimmung allerdings weniger stark, was beispielsweise auf Merkels allmählichem Rückzug aus dem Rampenlicht ab der zweiten Hälfte ihrer letzten Amtsperiode zurückzuführen sein könnte.
Abbildung 2b zeigt die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Leistung der Bundesregierung von 2009 bis 2021. Dabei bezieht sich die Frage stets auf die vergangene Legislaturperiode. Somit deckt die GLES die Zufriedenheit der Bevölkerungen mit allen Regierungskabinetten unter Merkel ab. Vom Ende des Kabinetts Merkel I (2005-2009) bis zum Ende des Kabinetts Merkel III (2013-2017) stieg die Zufriedenheit stetig an. Ähnlich wie auch Merkels Beliebtheit (Abbildung 2a), ändert sich dieser konstante Anstieg nach 2017, und die Beliebtheit des letzten Merkel-Kabinetts fällt im Vergleich zum vorherigen Kabinett um fast einen Skalenpunkt ab. Hervorzuheben ist hier, dass die Bewertung der Regierungen stets negativer ausfällt als Merkels Beliebtheit. Dies wird ebenfalls daraus deutlich, dass Merkels Leistungsbewertung mit 1,72 (abgefragt in 2021) höher ausfällt als die Leistungsbewertungen aller Regierungen unter Merkel. Auch hier ist es möglich, dass Merkels abnehmende öffentliche Präsenz im Verlauf ihrer letzten Amtsperiode einen Einfluss auf die Zufriedenheit mit der Regierungsleistung hatte. Da Merkel stets eine vergleichsweise hohe Zustimmung aus der Bevölkerung erfuhr, ist es möglich, dass die Zufriedenheit mit der Regierung von 2017 bis 2021 sich auch deshalb verringerte, weil Merkels Sichtbarkeit zugunsten anderer Personen in dieser Regierung zurückging.
Beliebtheit von Kanzlerkandidierenden und Koalitionen

Die konstante und zunehmende Beliebtheit Angela Merkels spiegelt sich ebenfalls in der Präferenz der Kanzlerkandidierenden wider. Ihren Höhepunkt erreichte diese 2017. Im Kontrast dazu steht das Wahljahr 2021, in dem mit Armin Laschet zum ersten Mal seit zwölf Jahren nicht Angela Merkel für die CDU angetreten ist und wesentlich schlechter abschneidet, aber nur knapp hinter der Grünen Kandidatin Annalena Baerbock liegt. Olaf Scholz hingegen ist so beliebt wie kein Kanzlerkandidat der SPD in den letzten zwölf Jahren, was den Wahlerfolg der SPD im Jahr 2021 und Scholz‘ Anspruch auf das Bundeskanzleramt unterstreicht. Hervorzuheben ist allerdings auch, dass die Mehrheit der befragten Personen 2021 keine Präferenz für einen der genannten Kandidierenden hatte.

Im Hinblick auf die sogenannte „Ampel-Koalition“ aus SPD, Grünen und FDP, welche die neue Regierung bilden wird, gibt Abbildung 5 Aufschluss über die Erwünschtheit dieser Koalition vor der Wahl. Zwar ist ihre Beliebtheit seit 2013 hinweg gestiegen, aber 2021 dennoch gleichauf mit der „Großen Koalition“ (GroKo), welche die letzten zwölf Jahre an der Regierung war. Nichtdestotrotz hat die GroKo gegenüber 2017 an Beliebtheit verloren und die „Ampel“ scheint erwünschter zu sein als eine Koalition aus CDU/CSU und Grünen (Schwarz-Grün).
Mit der Wahl eines neuen Bundeskanzlers endet die letzte Kanzlerschaft Angela Merkels. Fragestellungen, wie zum Beispiel die politischen Diskussionen um die Corona-Pandemie oder den Klimawandel diese Wahl beeinflusst haben, oder welche Gruppen im Jahr 2021 im besonderen Maße die SPD gewählt haben, sind auf Basis der Daten der GLES 2021 zu beantworten, die ab jetzt unter gles.eu zu finden sind. Ab dem 06.12.21 sind auch die Daten der GLES-Rolling-Cross Section (RCS) Studie verfügbar. Dabei handelt es sich um eine rollierende Querschnittsstudie mit einer Nachwahl-Panelwelle, bei der ca. 60 Tage vor der Wahl täglich Personen per Telefon befragt werden.
Verwendete Daten
- GLES (2020). GLES Querschnitt 2009-2017, Kumulation. GESIS Datenarchiv, Köln. ZA6835 Datenfile Version 1.0.0, doi.org/10.4232/1.13648.
- GLES (2021): GLES Querschnitt 2021, Vorwahl. GESIS Datenarchiv, Köln. ZA7700 Datenfile Version 1.0.0, doi:10.4232/1.13825.
- GLES (2021): GLES Rolling Cross-Section 2021. GESIS Datenarchiv, Köln. ZA7703 Datenfile Version 1.0.0, doi:10.4232/1.13827
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