Was kann die (empirische) Forschung aus der COVID-19-Pandemie lernen?

Mit Verbreitung des Corona-Virus sind etliche Studien und Projekte entstanden, die die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und ihrer Bekämpfung auf die Gesellschaft empirisch erfassen. Die Spannbreite ist groß und reicht von Momentaufnahmen in Befragungen mit selbstselektierten Stichproben, repräsentativ angelegten Surveys, Corona-Tagebüchern bis hin zur Aufnahme in Langzeitstudien. Der RatSWD hat von Beginn an Studien und Projekte gesammelt und in einer Datenbank verfügbar gemacht. Im Vorhaben „BestFDM“ werden diese Studien und Projekte analysiert. Ziel ist es, Empfehlungen zu qualitätsgesicherter Datenerhebung und umfassendem Forschungsdatenmanagement abzuleiten.
With the spread of the corona virus, a number of studies and projects have emerged that empirically examine the impact of the COVID-19 pandemic and its control on society. They range from snapshots in surveys with self-selected samples, representative surveys, Corona diaries to inclusion in long-term studies. From the beginning, the RatSWD has collected studies and projects and made them available in a database. In the “BestFDM” project, these studies are analysed. The aim is to derive recommendations for quality-assured data collection and comprehensive research data management.
DOI: 10.34879/gesisblog.2021.43
Haben Sie gerade am heimischen Küchentisch den Rechner hochgefahren und sind ins Homeoffice gestartet? Konnten Sie vorher die Kinder in die Kita und Schule bringen? Und was steht eigentlich zum Feierabend an – beziehungsweise was kann überhaupt anstehen? Haben die Restaurants schon offen? Wie hoch ist eigentlich gerade die Inzidenz im Landkreis? Die COVID-19-Pandemie hat unser aller Leben gehörig auf den Kopf gestellt. Es gibt nahezu keinen gesellschaftlichen Bereich, in welchem die Auswirkungen durch die Verbreitung des Corona-Virus nicht zu spüren sind. Was macht das mit uns? Diese Frage haben sich seit Beginn der Pandemie viele Forschende gestellt und eine ganze Reihe von sozial-, verhaltens- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsprojekten ins Leben gerufen.
Es gibt Online-Umfragen zum Alltag in Zeiten der COVID-19-Pandemie, zu den psychologischen Auswirkungen oder auch zur aktuellen Arbeitssituation, zum Homeschooling und zur Kita-Betreuung. Dokumente, Fotos und Eindrücke können in verschiedenen Citizen-Science-Projekten gesammelt werden (siehe Foto). Bestehende Langzeitstudien (insbesondere Panelsurveys) haben Zusatzerhebungen gestartet, um Veränderungen in den Lebenssituationen über die Zeit zu messen. Der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) sammelt seit März 2020 eine große Bandbreite von derartigen Studien und Forschungsprojekten auf seiner Webseite. Ziel ist es, einen Überblick über die aktuelle Forschung zu den sozialen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zu geben. Einen Anspruch auf Vollständigkeit gibt es dabei nicht – die Entwicklung ist hier analog zur Pandemie schnell und dynamisch. So umfasste die Sammlung bereits im Mai 2020 über 100 Studien und Projekte und wächst seitdem ständig weiter. Aus vielen Projekten wurden inzwischen Ergebnisse veröffentlicht. Auch diese sind auf der Webseite des RatSWD zu finden.
Unser Ziel: Qualitätssicherung und Nachnutzbarkeit von Forschungsdaten
Die Geschwindigkeit, in der die Erhebungen starteten, war bemerkenswert. Dies bot natürlich die Chance, wissenschaftliche Empfehlungen an Politik und Wirtschaft fast in Echtzeit abzuleiten. Leider ging die Geschwindigkeit teilweise aber auch auf Kosten der Qualität in der Datenerhebung. Insbesondere bei der Erfassung der soziostrukturellen Merkmale, also Fragen nach Alter, Geschlecht, Beruf etc., gab es Verbesserungsbedarf. Daraus ist die Idee entstanden: Was wäre, wenn zur nächsten gesellschaftlichen Krise ein Fragebogen mit standardisierten Items bereitsteht, der in eigene Erhebungen eingebaut werden kann? Und könnte man dann nicht mehrere Studien gemeinsam auswerten, da die Basis, also die Standarddemographie, ja die gleiche ist? Und kann man nicht Daten nutzen, die bereits von anderen erhoben wurden, um weitere Auswertungen zu machen? Genau hier setzt unser Projekt an. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus dem RatSWD sollen ein solcher Standardfragenkatalog entwickelt und Empfehlungen zur Datennachnutzung gegeben werden. Darüber hinaus soll Forschenden ein Forum zur Vernetzung und zum Erfahrungsaustausch geboten werden. Ziel ist die Qualitätssicherung und Nachnutzbarkeit von Forschungsdaten.
Seit unserem Projektstart im Dezember 2020 haben wir uns die einzelnen Studien und Projekte genauer angeschaut. Die ersten Beobachtungen zeigen, dass das Forschungsdatenmanagement, also das Speichern und Verfügbarmachen der erhobenen Forschungsdaten, über die Projekte hinweg uneinheitlichen Standards entspricht. Eine Nachnutzung der Daten ist dadurch erschwert. Dokumentationen sind häufig gar nicht oder nur teilweise vorhanden. In den Umfragestudien wurden nur begrenzt einheitliche Standarditems verwendet, die eine Vergleichbarkeit zwischen den entstehenden Forschungsdaten ergeben würden. Eine frühzeitige Veröffentlichung der genutzten Fragebögen, um eine solche Standardisierung zu vereinfachen, findet selten statt. Unter den qualitativen Studien ist die Zugänglichkeit relevanter (Meta-)Daten noch eingeschränkter. Insgesamt werden also wiederkehrende Themen des RatSWD wie die Datenqualität, Interoperabilität, sprich eine verknüpfte Datenauswertung zwischen den verschiedenen Projekten und ein Konzept zum Forschungsdatenmanagement (inkl. Nachnutzungsmöglichkeiten der entstehenden Forschungsdaten) bestenfalls vereinzelt in den Projekten mitgedacht.
In den folgenden zwei Jahren ist nun Ziel unseres Projektes, Empfehlungen zu erarbeiten, damit Forschende in künftigen gesellschaftlichen Krisen genauso schnell, aber mit qualitätsgesicherten Erhebungen reagieren können. Diese Empfehlungen sollen gemeinsam mit den Forschenden entstehen. Dazu sind mehrere Workshops geplant. So sollen beispielsweise exemplarisch Vorgehensweisen skizziert werden, wie Studien sowohl mit qualitativen explorativen Designs als auch mit repräsentativ angelegten Umfragen auf Krisen reagieren und sich gegenseitig besser ergänzen könnten. Zusätzlich tauchen wir tiefer in die einzelnen Studien ein, die ihre Fragebögen veröffentlicht haben und leiten einen Katalog sowohl für sozio-demographische als auch krisenbezogene Merkmale (z. B. die Infektion mit einem Virus) ab. Diesen Standardfragenkatalog können bereits bestehende und vor allem neu aufgesetzte Studien direkt in ihr Studiendesign aufnehmen. Der Vorteil durch die Nutzung dieses Standardfragenkatalogs besteht darin, dass die erzielten Ergebnisse besser verglichen und die Daten verschiedener Studien gemeinsam ausgewertet werden können. Zusätzlich kann durch die Standardisierung die Qualität von Studienergebnissen erhöht werden. Darüber hinaus sollen die Forschenden für ein nachhaltiges Forschungsdatenmanagement sensibilisiert werden – insbesondere zur Verfügbarmachung der erhobenen Forschungsdaten für Dritte.
Nun sollen die Projekte, die bereits mit gutem Beispiel und vorbildlichem Forschungsdatenmanagement vorangehen nicht unerwähnt bleiben. Bereits jetzt gibt es eine ganze Reihe von Erhebungen, die Ihre Forschungsdaten zur Nachnutzung verfügbar gemacht haben oder gerade dabei sind. Sollten Sie also auch eine Fragestellung zu den sozialen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie im Kopf haben, lohnt sich ebenfalls ein Blick auf unsere Sammlung an Studien und Projekten. Sie können die Sammlung nach verschiedenen Kriterien, wie Disziplin, Forschungsmethode oder Datenverfügbarkeit filtern.
Haben Sie sich im Homeoffice eigentlich schon mal gefragt, ob andere ebenfalls noch am Küchentisch sitzen oder bereits die Abstellkammer zum Büro umfunktioniert haben? Dann lohnt ein Blick in die Ergebnisse einer der mindestens 27 erfassten Studien und Projekte zum Thema „Homeoffice“ auf https://www.konsortswd.de/ratswd/themen/corona/studien/.
Das Projekt wird vom BMBF mit dem Titel „Bessere Ergebnisse durch Interoperabilität und standardisiertes Forschungsdatenmanagement: Vernetzung empirischer sozialwissenschaftlicher Forschung in gesellschaftlichen Krisen (Best_FDM)“ unter dem Kennzeichen 01UW2000 gefördert. Der Standardfragenkatalog wird in Zusammenarbeit mit dem bei GESIS ansässigen Measure „Facilitating the combination of research data through standardised and harmonised variables“ im Konsortium für Sozial-, Verhaltens-, Bildungs-, und Wirtschaftswissenschaften (KonsortSWD) entwickelt.
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